Geruchsempfindlichkeit: Wenn der Duft zur Qual wird

Geruchsempfindlichkeit, Gehirn, Gesundheit, Diagnose
primipil - Adobe Stock
Inhaltsverzeichnis

Ein teures Parfüm, das neue Rasierwasser oder ein Aromaspray – viele von uns versüßen sich den Alltag gern mit Düften. Doch manchen Mitmenschen steigen diese wortwörtlich zu Kopf: Menschen mit Geruchsempfindlichkeit reagieren nicht nur auf unangenehme Gerüche, sondern auch auf vermeintlichen Wohlgeruch mit Unwohlsein bis hin zu starker Migräne. Der Fachbegriff für diese Sinnesempfindung: Hypersomie. Was es damit auf sich hat und welche Auslöser dahinterstecken, lesen Sie in diesem Beitrag. 

Was ist Hyperosmie und welche Beschwerden sind damit verbunden?

Menschen mit Hyperosmie reagieren empfindlich auf bestimmte Gerüche: Starke Düfte wie Zigarettenrauch oder Parfüm können bei Ihnen die folgenden Symptome auflösen: 

  • Unwohlsein
  • Benommenheit
  • Übelkeit
  • Kopfschmerzen 

Sogar Muskelschmerzen und Migräneanfälle sind möglich. Daher bezeichnet man Hyperosmie ebenfalls als multiple chemische Sensibilität (MCS). Auch treibt diese hohe Überempfindlichkeit des Geruchsinns Betroffene mitunter so weit, dass sie soziale Interaktion vermeiden – was wiederum zu Vereinsamung und Depressionen führen kann.

Wichtig

Bei Hyperosmie geht es nicht darum, dass der Duft dem persönlichen Geschmack widerspricht – auch auf eine besonders feine Nase sind die Symptome bei Geruchsüberempfindlichkeit nicht zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um eine körperliche Reaktion, die Betroffene schwerlich aktiv beeinflussen können.

Schreitet die Überempfindlichkeit fort, so kommen zu den unmittelbaren Beschwerden womöglich weitere indirekte Symptome hinzu. Sie erstrecken sich auf Schwindel, Schlafstörungen, allgemeine Reizempfindlichkeit, Reizdarm- oder Reizblasen-Syndrom bis hin zu Fibromyalgie.

Woher kommt Geruchsempfindlichkeit?

Was genau eine Hyperosmie auslöst, ist nicht abschließend geklärt. Viele Experten vermuten eine psychische Ursache, wie z. B. eine emotional belastende Situation in der Kindheit. Andere wiederum sehen darin eine rein physische Reaktion – insbesondere im Hinblick auf viele künstliche Duftstoffe, die inzwischen Teil des Alltags sind. 

Studie zeigt: Gehirn reagiert anders bei Geruchsempfindlichkeit

Forschungsergebnisse einer Studie der schwedischen Umea-Universität geben interessante Einblicke zum Thema Hyperosmie: Der Psychologe Linus Andersson untersuchte dort im Jahr 2015, wie die Gehirne von geruchsempfindlichen und geruchsunempfindlichen Menschen reagieren. Angehörige beider Gruppen waren eine Stunde lang dem gleichen Duft ausgesetzt, während ein Gerätihre Gehirnaktivitäten aufzeichnete. 

Das Ergebnis: Die Gehirne der Teilnehmer beider Gruppen reagierten unterschiedlich auf die „Berieselung“ mit dem Geruch. Während der Geruchssinn normalerweise als „adaptiver Sinn“ funktioniert, sich also nach gewisser Zeit an einen Duft gewöhnt, fehlt diese Fähigkeit zur Adaption, wenn Hyperosmie vorliegt:  Bei den geruchsempfindlichen Personen ließ die Aktivität des Gehirns nicht nach. Vielmehr nahmen die Betroffenen den Geruch immer intensiver wahr. Insgesamt zeigte sich bei ihnen auch ein anderes Durchblutungsmuster des Gehirns.

Der Psychologe stellte außerdem fest, dass Düfte nicht das Einzige sind, worauf geruchssensitive Menschen reagieren: Sie sind auch empfindlich solchen Substanzen gegenüber, die sich stark auf die Schleimhäute in Mund und Nase auswirken können – wie zum Beispiel scharfe Lebensmittel. 

Interessant

Diese Erkenntnis deckt sich mit der relativ jungen Beobachtung, dass sich Geschmacks- und Geruchssensoren auch im Magen und Darm, in Atemwegen, im Gehirn und in der Muskulatur finden. Damit könnte es zusammenhängen, dass eine erhöhte Geruchsempfindlichkeit oft mit Übelkeit und anderen körperlichen Beschwerden wie asthmatischen Anfällen, Migräne oder Muskelschmerzen einhergeht.

Geruchsempfindlich in der Schwangerschaft

Ein bekanntes Beispiel für eine Überempfindlichkeit gegenüber olfaktorischen Reizen ist der sensible Geruchssinn von Frauen in der Schwangerschaft. In diesem Fall hat die Geruchsempfindlichkeit hormonelle Ursachen: Vermutlich steht die vermehrte Produktion von Östrogen damit in Zusammenhang. 

So verändert der hormonelle Einfluss die Struktur der Riechschleimhaut bei Schwangeren. In der Vergangenheit diente das dazu, das Ungeborene bestmöglich vor Gefahren wie Feuer oder Gasen zu schützen – aber auch vor dem Verzehr von verdorbenen oder gefährlichen Lebensmitteln. Mitunter ist die Geruchsempfindlichkeit von Frauen in der Schwangerschaft so ausgeprägt, dass das Riechen bestimmter Düfte Übelkeit und Erbrechen auslösen kann.

buritora | Adobe Stock
Während einer Schwangerschaft hat die Geruchsempfindlichkeit hormonelle Ursachen.

Geruchsempfindlichkeit und Psychologie: Bedrohlicher Duft

Wenn eine Hyperosmie vorliegt, kann deren Ursache auch psychisch bedingt sein. In diesem Fall waren Betroffene einem bestimmten Geruch beispielsweise in einer emotional belastenden Situation das erste Mal ausgesetzt. Da Gedächtnis und Geruchssinn stark verknüpft sind, rufen die betreffenden Duftstoffe künftig starke Gefühle von Bedrohung und Angst wach. Nicht selten führt dabei eine immer kleinere Konzentration des Geruchs zur körperlichen Reaktion.

Wird dies nicht rechtzeitig erkannt, kann sich die Überempfindlichkeit gegenüber dem bestimmten Duft auf ähnliche Gerüche ausbreiten. Eine mögliche Folge davon ist, dass die Auslöser für körperliche Symptome immer weniger spezifisch werden – bis am Ende eine Osmophobie, also Angst vor fast allen Gerüchen steht. 

Geruchsempfindlichkeit: Wann sollte ich zum Arzt?

Die Grenze zwischen einem übersteigerten Geruchssinn und einer echten Überempfindlichkeit ist fließend. Sobald Gerüche wie Zigarettenrauch oder Parfüm nicht nur Widerwillen oder Ekel auslösen, sondern Sie körperliche Symptome wie Übelkeit oder Schwindel bei sich wahrnehmen, ist ein Arztbesuch angebracht: Dann liegen Anzeichen für eine eventuelle Erkrankung vor. 

Vermeidung heißt oft Verschlechterung

Wozu Betroffene oft neigen, ist ein Vermeidungsverhalten: Wer einen übersteigerten Geruchssinn hat und an körperlichen Symptomen leidet, umgeht zum Beispiel Meetings mit Kollegen oder Versammlungen. Das mag kurzfristig die Auswirkungen der Hyperosmie abmildern, führt aber langfristig zur sozialen Isolation – und zu einer Zunahme der Sensibilität.

Bei starken Beschwerden im Rahmen einer Geruchsempfindlichkeit, wie Übelkeit, Schwindel oder Migräne, ist die Exposition mit starken Gerüchen dennoch eine Qual, die nicht unterschätzt werden sollte. Hier bietet sich eine Therapie an, die den Patienten wieder mehr Lebensqualität verspricht.  

Therapiemöglichkeiten: Wie lässt sich Geruchsempfindlichkeit behandeln?

Das Wissen um die Symptomatik des Riech-Phänomens ist relativ neu: Bisher ging man davon aus, dass manche Menschen einfach eine „feine Nase“ besitzen. Mitunter stellt es immer noch eine Herausforderung dar, dass die Beschwerden vom medizinischen Standpunkt her ernst genommen werden, sodass eine Therapie stattfinden kann.

Problematisch dabei dürfte sein, dass es bisher keine allgemein anerkannte Therapie der Hyperosmie gibt. Viele Ansätze zielen auf eine psychotherapeutische oder psychiatrische Therapie ab, da zahlreiche Mediziner hinter der physischen Symptomatik eines verstärkten Geruchssinns noch immer Ursachen rein psychischer Natur sehen. Von den meisten Betroffenen wird diese Therapieform aber meistens abgelehnt.

Desensibilisierung des Geruchssinns auf zweierlei Arten

Eine andere Methode der Hyperosmie-Therapie ist, sich auf den körperlichen Aspekt der Geruchsempfindlichkeit zu konzentrieren und sozusagen eine „Umprogrammierung“ durchzuführen. Dazu werden zwar auch verhaltenstherapeutische Ansätze genutzt, die aber in einem multimodalen Setting Anwendung finden. Das heißt im Detail: In einen entspannenden, wohltuenden Zustand versetzt, konfrontieren Therapeuten die Patienten schrittweise mit den gefürchteten Gerüchen– sodass eine systematische Desensibilisierung stattfindet. 

Als gegenteiliger therapeutischer Ansatz existiert außerdem die hochintensive Therapie. Betroffene tauchen dabei sozusagen für kurze Zeit regelrecht in die Behandlung ein: Statt zwei- bis dreimal pro Woche findet die Therapie vier bis sechs Stunden pro Tag statt. Zunächst stellt dies eine Reizüberflutung dar. Registriert der Körper aber, dass davon keine weitere Bedrohung ausgeht, kann die Reizschwelle mit der Zeit sinken und infolge dessen die Sensibilität nachlassen. Beide Maßnahmen sollten immer in Zusammenarbeit mit erfahrenen Therapeuten stattfinden. 

Exkurs: Besteht ein Zusammenhang zwischen Geruchssinn und Gehirngesundheit?

Wissenschaftler vermuten seit einigen Jahren, dass ein mangelnder Geruchssinn als Hinweis auf ein erhöhtes Risiko von Alzheimer dienen könnte. Bei einer Studie aus dem Jahr 2000 zeigten die Ergebnisse, dass sich unter den 30 Teilnehmern mit gutem Geruchssinn kein Alzheimerpatient befand. Unter den 47 Studienteilnehmern mit schlechtem Geruchssinn befanden sich dagegen 19 Personen, die an Alzheimer erkrankt waren. 

Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2007 bestätigt das – und mehr noch: Die Autoren der Untersuchung sehen in Problemen bei der Geruchserkennung auch einen Hinweis auf Parkinson und andere neurologische Leiden. Wer an Gedächtnisproblemen leidet und zugleich einen schwächelnden Geruchssinn bei sich feststellen kann, für den lohnt sich womöglich eine frühzeitige Untersuchung beim Arzt.